MEMENTO MORI FÜR GÜNTER WIEMANN

Ein Freund ist von uns gegangen!
Erinnern heißt vorwärts gehen!

Der Vorstand unseres Vereins IP1 hat zum 90. Geburtstag unseres Gründungsmitglieds Prof. Dr. mult, hc, Günter Wiemann 2012 in einer Laudatio geschrieben: „Es gibt Namen, die Menschen nennen, deren Leben Phantasie, Empathie und Kraft ausdrücken. Es sind Anreger, die mit beiden Beinen auf der Erde stehen – und doch zu den Sternen schauen können!“

Günter Wiemann ist am 19. August 2016 im Seniorenheim „Bethanien“ in Braunschweig gestorben. Er wurde am 15. 5. 1922 in Oker im Harz als Sohn eines Hüttenarbeiters und einer Näherin geboren. Volksschule, von 1940 bis zum Kriegsende Soldat der Luftwaffe, Verwundung und Rückkehr in die Heimat. In seinen Lebenserinnerungen, die er in dem Buch „Familiensaga“ 2012 aufschreibt, steht der deprimierende Satz: „Nichts gelernt als Schießen und Vernichten!“ Doch hier wird schon Günter Wiemanns Optimismus und Schaffensfreude erkennbar. Er lernt den Tischlerberuf und bildet somit das eine Standbein aus, das ihn als „Homo Faber“ Zeit seines Lebens auf festem Boden stehen lässt und sein Bewusstsein prägt: Leben mit Kopf, Herz und Hand. In seinem 2015 erschienenem Buch „Ein alter Beruf ist am Ende. Stellmacher-Lehrlinge aus Wolfenbüttel sind die Zeitzeugen“, wie in den zahlreichen weiteren Schriften wird das zweite Standbein des „Aufrecht Gehenden“ deutlich: Sein Bemühen, lokale und globale geschichtliche Entwicklungen nicht der Vergessenheit anheim fallen zu lassen, sondern die Schätze zu heben und Erinnerungen als orale und skriptorale Historie aufzubewahren.

Der Tischler Günter Wiemann, der noch bis vor wenigen Jahren seine Werkbank im Haus stehen hatte und mit Werkzeug umgehen konnte, hat Praxis immer in Verbindung mit Theorie verstanden. So war es nur logisch und konsequent, dass er das Studium der Berufspädagogik aufnahm und als Berufsschullehrer, Schulleiter, Ministerialbeamter und erster Präsident des damaligen niedersächsischen Landesinstituts für Lehrerfort- und –weiterbildung (NLI) Bollwerke für Veränderungen setzte. Als Hochschullehrer an der Technischen Universität Hannover hat er entscheidend mit am Auf- und Aufbau der Berufspädagogik beigetragen. Er war Mitinitiator bei der Gründung des Internationalen Arbeitskreises Sonnenberg und hat nach dem Zweiten Weltkrieg mitgeholfen, dass sich junge Europäer getroffen und kennen gelernt haben. In seiner „Familiensaga“ hebt er hervor, worum es ihm als „Schulmann“ ging, nämlich dafür zu kämpfen, „die historischen Bemühungen des Bildungs- und Besitzbürgertums zu brechen, die unterbürgerlichen Schichten von sozialer Emanzipation und Mündigkeit fernzuhalten, die klassenspezifische Spaltung in allgemeine (humanistische), vorberufliche und berufliche (realistische) Bildungsgänge zu überwinden“. Seine Mahnungen, nicht falschen Traditionen aufzusitzen und die allzu bequemen Wege und Denkeinbahnstraßen zu gehen, hat er immer auch für sich selbst in Anspruch genommen.

Es waren seine Fähigkeiten, Netzwerke zu bilden, aus seiner Erfahrung heraus, dass Einzelne zwar gesellschaftliche Veränderungen anstoßen, aber niemals allein verwirklichen können. So kam es 1986, also vor 30 Jahren, zur Gründung des Vereins INITIATIVEN PARTNERSCHAFT DRITTE WELT (IP3), deren erster Vorsitzender Günter Wiemann lange Jahre war und bis zu seinem Tod als wissenschaftlicher Begleiter beim umbenannten Verein INITIATIVEN PARTNERSCHAFT EINE WELT e.V. (IP1) angehörte. Auch wenn er in den letzten Jahren nicht mehr aktiv am Vereinsleben teilnehmen konnte., sein Interesse an unserer Arbeit war bis zum Schluss wach. Die Vereinsziele von IP1, durch interkulturelle Begegnungen, internationale Partnerschaften und globales Lernen Erfahrungen über sich selbst und andere zu machen und den Auseinandersetzungen mit ihren Ausdrucksformen, Existenzen und Leiden eigene Identität zu entwickeln, hat er als seine Lebensaufgaben wahr genommen: „Die Begegnung mit dem Fremden, dem unbekannten Reichtum anderer Kulturen öffnet den Blick für die eigene Existenz, die eigenen Lebensformen, sie schafft Freude, Bestätigung und Niederlagen, schärft den Blick für die Realitäten der Politik und macht zugleich die Risiken und die Verantwortung deutlich, die mit Partnerschaften verbunden sind“. Es sind seine Prinzipien einer „ganzheitlichen Welterfahrung“, wie er sie uns immer wieder vorgetragen und vorgelebt hat:

„Freiwilligkeit und Autonomie“,
„Dauerhafte und persönliche Kontakte“,
„Selbstorganisation und Selbstfinanzierung“,
„Dialog – Helfen und Lernen“

Günter Wiemanns Schaffens- und Produktivkraft ist weiterhin das, was fasziniert und Vorbild bleibt. Sein Interesse an der Eine-Welt-Arbeit war ungebrochen; und ohne seine Anregungen und Ideen würde es viele der Aktivitäten von IP1 nicht geben; ob es die Themen der Jahresfachtagungen sind, die Dokumentation von ausgewählten Nord-Süd-Partnerschaften unseres Vereins, die Lernausstellung „Die ganze Welt in Niedersachsens Schulen“, mit der Eröffnung 1994 im Niedersächsischen Landtag…, immer war Günter Wiemann dabei! Die Verleihung des von der Deutschen UNESCO-Kommission 1999 erstmals verliehenen Preises für interkulturelle Verständigung an IP1 ist ohne Zweifel seinen unermüdlichen Verdiensten zuzuschreiben.

In seinem 2007 erschienenem Buch „Kurt Gellert. Ein Bauernführer gegen Hitler. Widerstand, Flucht und Verfolgung eines Sozialdemokraten“ wird eine seiner wesentlichen Eigenschaften und Lebensmotive deutlich: „Erinnern heißt vorwärts gehen!“; und in der 2011 vorgelegten Veröffentlichung „Politische Wanderungen“, in dem er die Visionen und Aktivitäten der Gründer der „Harxbütteler Gemeinschaft“, einer Richtung der Landkommunen-Bewegung, Hans Löhr und Hans Koch, als Zeugen auch für seine Utopie in Anspruch nimmt: „Der Mensch in der Mitte, und der Geist der Gemeinschaft“.

Der Trauergottesdienst für Günter Wiemann wird am 3. September 2016, 18.00 Uhr, in der Klosterkirche Riddagshausen stattfinden.

Unser Freund und Vereinsmitglied Günter Wiemann wird uns fehlen! Aber seine Kraft, Lebensfreude und Motivation bleiben für uns bestehen! So sind wir dankbar, Günter Wiemann als Freund, Ratgeber und Anreger gehabt zu haben!

Der Vorstand von IP1
Jessica Schwarz, Vorsitzende
Manfred Möller, Stellvertreter
Karl-Heinz Recklebe, Geschäftsführer
Beisitzer: Dieter Schoof-Wetzig, Dieter Sippach, Christiania Stieghorst,
Ute Wittenberg
Dr. Jos Schnurer, wissenschaftliche Begleitung