Miteinander – voneinander lernen, wie die Welt ist

Schule ist zum Lernen da! Lernen, das ist nach der erziehungswissenschaftlichen Definition in erster Linie Verhaltensänderung; weil ein humanes Verhalten  Menschsein ausmacht! Um Verhalten ändern zu können, braucht es Wissen!  Wissen aber ist mehr als der Nürnberger Trichter!  Denn der Mensch, der weiß, wer er selbst ist, woher er kommt, wie er menschenwürdig leben soll, wie sich die Welt entwickelt und was er selbst dazu beitragen kann, damit der Lebensraum der Erde für alle Menschen   gerechter und friedlicher wird, braucht Empathie! Kognitives und emotionales Wissen gehören also gleichberechtigt zusammen! Das ist der schulische Bildungsauftrag!

Als klar wurde, dass die Welt sich immer interdependenter, entgrenzter und globaler entwickelt, wurde die Herausforderung immer dringlicher, Lernen als globale Bildung zu begreifen. In der Curriculumdiskussion entstand die Überzeugung, dass Fach- und fächerübergreifendes, projektorientiertes Lernen  die Kompetenzen – Wissen, Kennen und Können  – umfassen muss: Interkulturelles Lernen! Beim damaligen niedersächsischen Landesinstitut für Lehrerfortbildung, Lehrerweiterbildung und Unterrichtsforschung (NLI), in der Hildesheimer Keßlerstraße, wurde in den 1980er/90er Jahren das Dezernat „Globale Bildung“ mit dem Ziel  eingerichtet, didaktische und methodische Kriterien zu entwickeln und zu erproben, wie es gelingen kann, auch in der Schule über den lokalen, regionalen und nationalen Gartenzaun zu schauen und Grenzen zu überwinden. Die Idee, dies nicht nur mit den inzwischen etablierten Schüleraustausch-, Begegnungs- und Partnerschaftsprogrammen zwischen deutschen, französischen und britischen Schülerinnen und Schülern anzugehen, sondern auch mit denen in den damals so genannten Entwicklungsländern in Afrika, Asien und Lateinamerika zu versuchen, hat zu bemerkenswerten und engagierten Projekten geführt. Das NLI (heute NLQ) hat in der Reihe „NLI-Drucksache“ sechs solcher Nord-Süd-Partnerschaftsprojekte dokumentiert und den interessierten Schulen als Informations-, Anschauungs- und To-do-Materialien zur Verfügung gestellt:

Heft 1: Das Arabras-Projekt von Schulen in Leer/Ostfriesland mit Partnern in Araguacema/Brasilien, Hildesheim 1993, 35 S.

Heft 2: Das Partnerschaftsprojekt Osterholz – Costa Rica, Berufsbildende Schule Osterholz-Scharmbeck mit der Partnerschule in Desamparados/Costa Rica, Hildesheim, August 1994, 44 S.

Heft 3: Das Partnerschaftsprojekt  der IGS Braunschweig/West: „Bäume für Sahel – Bäume für Ouallam/Niger, 1994, 41 S.

Heft 4: Das Partnerschaftsprojekt „Learning for a better future“, Schulzentrum Moormerland und KGS Schwanewede mit Partnerschulen in Gambia/Westafrika, 1995, 45 S.

Heft 5: Schulpartnerschaften zwischen Grundschulen und Bildungseinrichtungen in der Dritten Welt, Projekte der GS Lilienthal mit einer Partnerschule auf der Insel Negros/Philippinen und der GS Bad Pyrmont mit Partnern in South Horr/Kenia, April 1996, 47 S.

Heft 6: Das Partnerschaftsnetzwerk UNDUGU, mehrere allgemeinbildende und berufsbildende Schulen in der Region Göttingen mit Partnern in der Region Mlalo/Tansania, August 1996, 58 S.

Viele allgemeinbildende und berufsbildende Schulen haben mittlerweile interessante und bemerkenswerte Nord-Süd-Partnerschaften aufgebaut. Die in vielen Fällen ursprünglich karitative Motivation – „Wir müssen den armen Menschen helfen!“ – hat sich zu dem Bewusstsein entwickelt, wie es auch bei der offiziellen deutschen Entwicklungszusammenarbeit etabliert hat: „Hilfe zur Selbsthilfe – Gemeinsam lernen in der Einen Welt“. Der Perspektivenwechsel wird auch deutlich dadurch, dass die Kultusministerkonferenz der Bundesländer (KMK) 2007 einen ersten „Orientierungsrahmen“ vorgelegt hat, in dem die Schulen Hinweise zum Interkulturellen Lernen vorfinden. Die KMK hat, zusammen mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), von 2011 – 2015 eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die den „Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung“ erarbeitete. Der Bildungsvorschlag orientiert sich dabei an dem Weltaktionsprogramm, das für die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“  proklamiert wurde. Er wurde als 2., aktualisierte und erweiterte Auflage 2016 den Grundschulen, SI und SII- und den berufsbildenden Schulen zur Verfügung gestellt: „Es geht darum, in einer Zeit großer globaler Herausforderungen sicherzustellen, dass Bildungsqualität in unseren Schulen das Fundament zukünftiger Entwicklung ausmacht“ (Engagement Global, Hrsg.), Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung, Bonn 2016, 464 S.).

Nach dieser Vorrede sind wir bei einem Projekt, das die integrierte Robert-Bosch-Gesamtschule (RBG) in Hildesheim (Schulpreis als beste deutsche Schule, 2007)  in Kooperation mit dem in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit tätigen Wasserbau-Ingenieur Prof. Dr. Jochen Pabsch ab 1998 initiierte: Mithilfe beim Aufbau und der Einrichtung einer Krankenstation für das Massaidorf Lekrimuni/Tansania. Das ursprünglich aus der fächerbezogenen und -übergreifenden Lernarbeit des Leistungskurses  der gymnasialen Oberstufe der RBG zum Thema „Wasser lokal – Wasser global“ entstandene Partnerschaftsprojekt (siehe dazu den Projektbericht 2001, 24 S., sowie: Wilfried Kretschmer, u.a., „Der Weg ist das Ziel“, in: Robert-Bosch-Stiftung und Heidehof-Stiftung, Hrsg., Gute Schule – so geht’s!“ , 2016, S.25ff) ist mittlerweile, auch durch die Zusammenarbeit mit zahlreichen außerschulischen Sponsoren, zu einem echten, auf Nachhaltigkeit, Kooperation , Gegenwarts- und Zukunftsfähigkeit ausgerichtetem, interkulturellem Lernprojekt geworden. Aus dem ursprünglichen, karitativen Hilfsaspekt (siehe dazu: RBG, Erste Hilfe für Afrika, Hildesheim 2013/14, 50 S.) hat sich die Erfahrung entwickelt, dass die Mitarbeit bei der Entwicklung eines lokalen Projektes, wie z. B. beim Aufbau einer Krankenstation im tansanischen Massaidorf Lekrimuni, nicht nur die notwendige gesundheitliche Versorgung der dort lebenden Menschen verbessert, sondern auch Motivation für eine aktive und selbstbewusste Dorfentwicklung ist.

Seit 2011 finden jedes Jahr Studienfahrten von RBG-Schüler/innen,  Lehrkräften, Eltern und Kooperationspartnern nach Lekrimuni statt, bei denen die Hildesheimer Teilnehmer/innen mit den Partnern in der tansanischen Region am Fuße des Kilimanjaro zusammenarbeiten, zusammenlernen und zusammenleben, sich austauschen und gemeinsam Ideen und Visionen entwickeln, wie diese Partnerschaft verbessert und erweitert werden kann; z. B. auch dadurch, dass aus den bisherigen Studienfahrten der Hildesheimer Schülerinnen und Schüler Austausch und Begegnung auf Augenhöhe stattfindet. Dazu hat gerade die RBG eine Dokumentation vorgelegt, die den Titel trägt: „Lernen im Massaidorf Lekrimuni. Lokale Projekte – Globale Visionen, Redaktion: Christa Maria Bauermeister / Matthias Reisener / Kristine von der Recke, u.a., Hildesheim 2018, 67 S.)

Damit wird eine Bestandsaufnahme der bisherigen Initiativen und Aktivitäten vorgenommen. Es werden Erfahrungen reflektiert, und es geht vor allem darum, gemeinsam mit den Hildesheimer und Tansanischen Partnern in die Zukunft zu schauen; z. B. auch mit dem kritischen, selbstreflexiven Blick: „Zukunft gestalten als kritische Sicht auf die eigene Lebensweise – Die Chance zur Selbstwahrnehmung im Fremden“. Die Hildesheimer schauen schon wieder ein Stück weiter, etwa indem sie bereits die Planung eines interkulturellen Begegnungs- und Schulungszentrums auf dem Gelände der Disensary, in Zusammenarbeit mit dem kath. Orden der Holy Spirit Sisters im Blick haben und Möglichkeiten erkunden, wie diese Initiative Wirklichkeit werden kann.

Die Erfahrung, wie sie von den Hildesheimer Engagierten und Aktiven zum Ausdruck kommt, ist gleichzeitig ein Signal, das Lernen und Aufklärung verbindet und in den Alltag der schulischen Erziehung einbindet. Bei der Staffelübergabe beim Wechsel des Schulleiters der RBG, am 5. Februar 2018, wurde die Arbeit des bisherigen Primus inter Pares der kollegialen Schulleitung, Wilfried Kretschmer und des Kollegiums, von seinem Nachfolger Dr. René Mounajed gewürdigt und versprochen: „Die RBG ist auf dem richtigen Weg. Das Projekt ‚Lekrimuni‘ ist mehr als eine Krankenstation in Tansania, mehr als Entwicklungshilfe und mehr als ein außergewöhnlicher Lernort: Lekrimuni ist Begegnung zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen, Begegnung von Schülern und Lehrern auf einer Ebene, Begegnung mit sich selbst. Lekrimuni bedeutet fächerübergreifendes Lernen, Begreifen, Begabungen entdecken und entfalten“.

Allen Beteiligten an diesem bemerkenswerten, nachhaltigen und zukunftsorientierten Partnerschaftsprojekt kann man nur Anerkennung aussprechen und wünschen, dass die begonnenen Veränderungen vom „Paten“- hin zu einer echten, gleichberechtigten  Partnerschaftsinitiative gelingen!

Dr. Jos Schnurer (220818)